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Zipfel und Zapfel auf großer Tour - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

Im Burggraben zu ertrinken, ist im Münsterland keine weit hergeholte Todesursache. Hinter jedem zweiten Acker glotzt einen schließlich ein Wasserschloss an, eines schmucker als das andere. Aber eben deshalb würde sich die in solchen Häusern zur westfälischen Nachtigall gereifte Droste ihre schönen Locken raufen (die das gereifte Fernsehpublikum noch vom Zwanzigmarkschein kennt), wüsste sie, dass als diesmal schauerromantische Landadelskulisse für den hemmungslos beliebten Münster-„Tatort“ – in den vergangenen Jahren stets die meistgesehene Sendung des Jahres, abgesehen von Fußballspielen der Nationalmannschaft – kein einziges der zahllosen Renaissance- und Barock-Kleinode zwischen Höxter und Borken gewählt wurde, sondern das zwar idyllische, aber eben rheinländische und auch noch neugotisch überformte Schloss Hülchrath bei Neuss. Wieso bloß?

Bald jedenfalls stolpern die Ritter Zauselbart und Großkotz durch die Anlage, Kommissar Thiel (Axel Prahl) und – später gar in Klapperrüstung – Rechtsmediziner Boerne (Jan Josef Liefers), die ihre Limbo-Nahtod-Erfahrung aus der letzten Folge so restlos verwunden zu haben scheinen, dass sie wieder ganz das alte Zipfel-Zapfel-Pärchen sind, das das Publikum, wie es sich fürs Kasperletheater gehört, einfach immer wieder sehen möchte. Was man dem sehr braven Film von Buket Alakus (Buch Benjamin Hessler) kaum anmerkt: Es war der erste „Tatort“, der nach der Corona-Pause gedreht wurde. Und Münster kommt dann ja auch doch noch vor, wenn auch nur als Hintergrundkulisse für Staatsanwältin Klemms (Mechthild Grossmann) Kaffeepausen, die sie immerhin vis-à-vis der Lamberti-Kirche absolviert, mit Blick auf die Käfige, in denen einst die Wiedertäufer rotteten. Von Letzteren ist hier so oft die Rede, dass man fast meinen könnte, das spielte eine Rolle. Ertrunken ist im Graben allerdings ein gut gerüsteter „Kirmeskönig“, eine ungewollt bittere Pointe angesichts der gegenwärtigen Schausteller-Not. Besagter Möchtegern-Ritter namens Radtke hatte den alten Kasten, die Burg, der letzten von Lüdecke (Justine Hauer) – mit leichtem Nachdruck – abgekauft, um daraus einen Freizeitpark mit Mittelalter-Experience und Wiedertäufer-Mummenschanz zu machen.

Einmal ging in Münster die Post ab

Wie sich herausstellt, sind auch die Erben des Kirmeskönigs, Prinzessinnen-Tochter Claudia (Sandra Borgmann), der dumm aus der Rüschenwäsche guckende Sohn Tobias (Marek Harloff) und seine Unheil verheißende Märchen-Gemahlin Farnaz (Violetta Schurawlow) tief in das Projekt involviert, das über einen Graf Koks aus den Niederlanden sogar internationale Ausstrahlung besitzt. Zum Vom-Pferd-Fallen verdächtig verhalten sich dabei restlos alle Beteiligten: Wer nur hat den Alten ins Wässerchen geschubst (in dem man übrigens stehen kann)? Und warum ist Boerne so aufgekratzt, dass er sich nicht nur von hübschen Ex-Studentinnen (Mai Duong Kieu) um den Finger wickeln lässt, sondern gar eine von Silke Haller (Christine Urspruch) aufgenommene Ritterrüstung-Moonwalk-Tanzchallenge auflegt, gegen die das virale „Jerusalema“-Gehüpfe wie orthodoxe Aerobic aussieht?

Karl-Friedrich hat ja Recht: Ein einziges Mal ging im beschaulichen Münster 1534 die Post ab, als zwei Jans und eine Reihe von wilden Bernds eine Art christlich-meschugges Kalifat errichteten, der Vielweiberei bis zum Exzess frönten und fröhlich Köpfe abschnitten, bis der radikalreformatorische Spuk ein Jahr später ein makabres Ende fand. Was hätte sich aus dieser für Münster so wichtigen, erstaunlich spät erst im „Tatort“ thematisierten Episode nicht an dramaturgischen Funken schlagen lassen? Man sieht die Kapriolen schon vor sich: der Einfall von Wieder-Wiedertäufern, womit sich alle Radikalisierungen ad absurdum führen ließen. Hier bleibt davon nur müdes Bauerntheater.

Es reichte Hessler offenbar, dass im vermeintlichen Mittelaltersetting Alberich-Witze besonders gut zu passen schienen, und das, obwohl es die Wiedertäufer erst in der Frühen Neuzeit krachen ließen und mit dem „Nibelungenlied“ so viel zu tun hatten wie eine Folge „Traumschiff“ mit der „Odyssee“. Mit – ritterlich ausgedrückt – neugotisch überformtem Allerweltsklamauk inklusive bärtigen Bartwitzen geht es dann in die Schluss-Aventiure, in der von unseren Kasperlefiguren – Wachtmeister und Schlossgespenst – zwar keine Rapunzel gerettet, aber gewissermaßen ein böses Krokodil erschlagen werden muss. Und ein Rapunzelersatz zwinkert den im Finale erstaunlicherweise mit ihrer eigenen Redundanz konfrontierten Helden dann doch noch zu, bevor der Film mit einer wohl wiederum ungewollt bösen Vision endet: Irgendwann wird das wackere Münster seine beiden Wahrzeichen verbinden. Dann werden sie da oben in den Eisenkäfigen schmachten, die wilden Kalauerkönige aus dem Ersten. Und man wird Boerne unablässig lamentieren hören, dass es beim dritten Käfig auch die halbe Größe getan hätte. Das wird lustig.

Der Tatort: Es lebe der König! läuft an diesem Sonntag um 20.15 Uhr im Ersten.

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