Angstvoll blickte die Filmbranche Disneys Investorenkonferenz entgegen, die am Donnerstag aus dem kalifornischen Burbank in die Welt übertragen wurde. Denn es war befürchtet worden, dass der Konzern eine ähnliche Strategie verkünden könnte wie das Studio Warners Bros., das im kommenden Jahr 17 neue Filme – darunter auch Mammutproduktionen wie »Dune« oder »Godzilla vs. Kong« – zumindest in den USA zeitgleich zum Kinostart auf seinem Streamingdienst HBO Max herausbringen will. Doch Disney geht einen anderen Weg.
Eine hybride Auswertung nach dem Modell von Warner sieht Disney zunächst nur für den Animationsfilm »Raya und der letzte Drache« vor, der im März starten soll. Doch vor allem Marvel-Produktionen wie »Black Widow«, »Eternals« und »Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings«, die allesamt wohl jeweils 150 Millionen Dollar und mehr kosteten, sollen offenbar traditionell ausgewertet werden, also erst exklusiv im Kino laufen. Diese Entscheidung überrascht. Es war eher erwartet worden, dass Disney bekannt geben würde, weitere seiner schon länger fertiggestellten Filme gar nicht ins Kino zu bringen, sondern gleich auf seinem Streamingdienst Disney+ zu zeigen.
Vor einer Woche ließ Warner Hollywood beben. Das Filmstudio ist seit beinahe 100 Jahren ein Felsen der Traumfabrik. Doch wegen Corona droht auch das Kinojahr 2021 ein höchst unsicheres zu werden. Niemand weiß, wann die Kinos wieder großflächig öffnen dürfen. Ob die Zuschauer dann sofort zurückkehren, ist ebenfalls ungewiss. Und selbst wenn: Alle Studios warten nur auf den Moment, ihre Filme endlich in die Kinos zu bringen. Der Rückstau dürfte gewaltig werden.
Warner hat das Ankündigungsfenster eingeworfen
Die Ankündigung war deshalb so brisant, weil Warner damit endgültig ein Fenster einwirft, auf das Teile der Unterhaltungsindustrie schon lange zielen: das Auswertungsfenster. Damit ist die Zeitspanne von rund 90 Tagen gemeint, an denen in den USA die Kinos das alleinige Recht haben, Filme auszuwerten. Erst danach dürfen sie für die diversen Kanäle des Heimkinos – Streaming. DVD, Blu-Ray – bereitgestellt werden.
Dieses Auswertungsfenster war bisher so etwas wie der Heilige Gral der Kinobesitzer, seit Jahren kämpfen sie gegen Bestrebungen etwa von Netflix, es zu verkürzen. Die Angst dahinter: Dass Zuschauer sich nicht mehr von ihren Sofas erheben und in die Kinos strömen, wenn sie Filme direkt zum heimischen Flachbildfernseher geliefert bekommen.
Warner zog sich dann auch sofort den Groll der Branche zu. Der Filmemacher Christopher Nolan echauffierte sich darüber, dass die Warner-Bosse ihre Entscheidung fällten, ohne Rücksprache mit Kreativen zu halten, und bezeichnete HBO Max als den schlechtesten Streaming-Dienst von allen. Die Produktionsfirma Legendary Pictures, die unter anderem »Dune« mitfinanziert hatte und ebenfalls nicht vorab über die Streaming-Pläne informiert worden war, erwägt den Gang vors Gericht.
Bob Chapek dagegen setzte bei der Präsentation für seine Investoren erst mal auf Beruhigung. Der seit Februar amtierende Konzernchef ließ hinter sich riesengroß Fotos des Konzerngründers Walt Disney einblenden. Die Botschaft war klar: Wir stehen in der Tradition unserer Gründers. Doch das Wort, das Chapek weit häufiger im Munde führte, war: Innovation. Dass Chapek am Kino und an der klassischen Auswertung festhält, hat nichts mit Sentimentalität zu tun. Er und seine Leute glauben, dass Kino immer noch ein verdammt gutes Geschäft sein kann.
Im Jahr 2019 hat Disney mit Blockbustern wie »Avengers: Endgame«, »Der König der Löwen« oder »Die Eiskönigin 2« über 13 Milliarden Dollar eingenommen – rund ein Fünftel dessen, was der Konzern, der auch Fernsehsender, Freizeitparks und Kreuzfahrtschiffe betreibt, insgesamt umsetzte. Die gute Laune, die Chapek und seine Manager bei der Investorenkonferenz verbreiten wollten, konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass 2020 für den Konzern ein katastrophales Jahr ist, weil die Pandemie in fast allen Geschäftsbereichen für massive Einbrüche sorgt. Die Streamingdienste wie Disney+ dagegen verbuchen enorme Zuwachsraten.
Aus diesem Grund entschloss sich Disney im Sommer, die Realfilm-Adaption seines Zeichentrick-Klassikers »Mulan« in den meisten Territorien nicht ins Kino bringen. Das Magazin »Forbes« hat ausgerechnet, dass der Film über Disney+ etwas mehr als 100 Millionen Dollar eingenommen haben könnte. Aus dem Kino-Einspiel in Ländern wie China kommen noch mal knapp 70 Millionen dazu. Dem steht allerdings ein Produktionsbudget von angeblich 200 Millionen Dollar plus Marketingkosten gegenüber. Der ähnlich teure »Aladdin« hatte allein an amerikanischen Kinokassen über 350 Millionen Dollar eingebracht. »Mulan« war so oder so ein ziemlich großes Verlustgeschäft.
Bisher lief die Blockbuster-Maschinerie wie geschmiert
Die Blockbuster-Maschinerie, die Disney durch den Aufkauf von Firmen wie Marvel, Lucasfilm, Pixar und 20th Century Fox immer weiter ausgebaut und perfektioniert hat, lief bis zum Beginn der Pandemie wie geschmiert. Warum sollte sie nach deren Ende nicht mehr laufen? Disney stellt Markenprodukte her und verdient damit viel Geld. Aber diese Produkte sind eben so teuer, dass sie sich nur rechnen, wenn sie mehrfach ausgewertet werden, wenn die Leute erst ins Kino gehen und sich den Film dann Monate später noch einmal zu Hause angucken.
So wurde auf der Konferenz verkündet, dass es einen neuen »Indiana Jones«-Film geben wird. Auch soll mit Patty Jenkins erstmals eine Frau bei einem »Star Wars«-Film Regie führen: »Rogue Squadron« soll 2023 ins Kino kommen. Das jüngste Werk der Regisseurin, »Wonder Woman 1984«, wird von Warner in der kommenden Woche in vielen Ländern hybrid gestartet, soll in Deutschland allerdings zunächst exklusiv im Kino laufen. Zugleich gab Disney bekannt, zehn neue Serien zu entwickeln, die im »Star Wars«-Universum spielen, darunter »Obi-Wan Kenobi« mit Hayden Christensen.
Man erkennt hinter diesen Plänen ein Mastermind: Kevin Feige, Chef von Marvel und einer der mächtigsten Männer bei Disney. Er will unendliche Geschichten erzählen, ein gigantisches Netz von Erzählsträngen spinnen, die zwischen Kino und Fernsehen, Leinwand und Bildschirm verlaufen, hin und her, vor und zurück. Er scheint davon überzeugt, dass man das eine Medium nicht gegen das andere ausspielen sollte, sondern dass beide weiter boomen werden, wenn sie sich ergänzen und gegenseitig herausfordern.
Dennoch dürfte Disneys Bekenntnis zum Kino nicht in Stein gemeißelt, sondern vom weiteren Verlauf der Pandemie abhängig sein. Sollten die Kinos in Bundesstaaten wie Kalifornien in ein paar Monaten wegen des Lockdowns immer noch geschlossen sein, würde vermutlich auch Disney auf die Linie von Warner umschwenken. Dass Beispiel des Agententhrillers »Tenet«, den Warner im August ins Kino brachte, hat gezeigt, dass die Einspielergebnisse in den USA einbrechen, wenn die besucherstarken Regionen des Landes ausfallen. Die Kalifornier fahren nicht massenweise nach Nevada, um dort Filme zu sehen. Sie hätten sie aber vermutlich sehr gern im Heimkino.
https://ift.tt/3mj8yjT
Unterhaltung
Bagikan Berita Ini
0 Response to "Konzern-Strategie: Disney setzt weiter auf Kino - DER SPIEGEL"
Post a Comment